Vom mässigen Studenten zum Nobelpreisträger

Albert Einstein war Student und Professor an der ETH Z¨¹rich. Sein Nobelpreis f¨¹r Physik j?hrt sich dieses Jahr zum 100. Mal. Doch wie viel ETH steckt wirklich in Einstein? Und wie viel Einstein noch in der ETH?

Einstein
Nach seiner Zeit an der ETH forschte Einstein in Berlin, hier in seinem B¨¹ro im Jahr 1920. (Illustration: Oculus Illustration / ETH-Bibliothek Z¨¹rich, Bildarchiv)

Als der ETH-Student Albert Einstein im M?rz 1899 beim Professor f¨¹r das physikalische Praktikum zum Rapport erscheint, schwant ihm nichts Gutes. Der 20-J?hrige war in den letzten Monaten kaum zum Unterricht erschienen. Statt der eint?nigen Laborarbeit hatte sich Einstein lieber im Selbststudium den Meistern der theoretischen Physik gewidmet. Die Rechnung daf¨¹r erh?lt er prompt: Wegen mangelnden Fleisses l?sst ihn Jean Pernet mit einer glatten Eins durchfallen. Doch Einstein scheint sich nicht viel daraus zu machen. Auf die Frage des Professors, warum er denn nicht lieber Medizin, Juristerei oder Philologie studiere, antwortet er knapp: ?Weil mir dazu erst recht die Begabung fehlt, Herr Professor. Warum soll ich es mit der Physik nicht wenigstens probieren??

Es ist nicht zuletzt dem Selbstbewusstsein des jungen Einsteins zu verdanken, dass wir dieses Jahr das 100-Jahr-Jubil?um seines Nobelpreises begehen. Ausgezeichnet wurde er f¨¹r seine Verdienste um die theoretische Physik und insbesondere f¨¹r die Entdeckung des Gesetzes des fotoelektrischen Effekts.

F¨¹r die ETH geh?rt Einstein heute zum fixen Inventar. Er gilt als ber¨¹hmtester ETH-Alumnus, wird auf der Website der Hochschule portr?tiert und in einer eigenen Besuchertour vorgestellt. Zahlreiche seiner Schriftst¨¹cke liegen im Archiv der ETH-Bibliothek, eine B¨¹ste schm¨¹ckt den Ó¢»ÊÓéÀÖ H?nggerberg, ein Caf¨¦ an der Polyterrasse tr?gt seinen Namen, und bald k?nnen sich Besucherinnen und Besucher sogar mit einem digitalen Einstein unterhalten. Doch wie viel ETH steckt in Einstein? Welchen Einfluss hatte seine Zeit als Student und Professor an der ETH f¨¹r seine sp?teren Erfolge? Und wie relevant sind seine Theorien heute noch?

?Vagabund und Eigenbr?tler?

Einstein
Albert Einstein als Student am Polytechnikum, 1898 (Illustration: Oculus Illustration / ETH-Bibliothek Z¨¹rich, Bildarchiv)

Albert Einstein beginnt sein Studium an der ETH, die damals noch Polytechnikum Z¨¹rich heisst, im Oktober 1896. Mit nur 17 Jahren ist er einer der J¨¹ngsten. Vier Jahre lang belegt er vor allem Kurse in Physik und Mathematik, aber auch in Literatur und Geschichte. Dabei muss er immer wieder feststellen, dass es nur f¨¹r mittelm?ssige Noten reicht. Denn um ein guter Student zu sein, h?lt er 1955 in seinen Erinnerungen an die ETH fest, ?muss man eine Leichtigkeit der Auffassung haben, Willigkeit, seine Kr?fte auf all das zu konzentrieren, was einem vorgetragen wird, Ordnungsliebe, um das in den Vorlesungen Dargebotene schriftlich aufzuzeichnen und dann gewissenhaft auszuarbeiten. All diese Eigenschaften fehlten mir gr¨¹ndlich, was ich mit Bedauern feststellte.?

Was der Student Einstein, der sich selbst als ?Vagabund und Eigenbr?tler? bezeichnet, aber zur Gen¨¹ge besitzt, ist eine schier uners?ttliche Begeisterung f¨¹r die physikalischen Theorien und Probleme seiner Zeit. Da an der ETH damals wenig dazu gelehrt wird ¨C die Theorien zum Elektromagnetismus von Maxwell oder zur Thermodynamik von Boltzmann waren zum Beispiel nicht Teil des Stoffes ¨C, eignet er sich dieses Wissen gr?sstenteils im Selbststudium an. ?Bereits in sehr jungen Jahren war Einstein von einem tiefen Erkenntnisdrang beseelt. Er wollte den bisher unverstandenen Dingen auf den Grund gehen und hat die g?ngigen physikalischen Paradigmen radikal hinterfragt?, erkl?rt der emeritierte ETH-Physikprofessor Hans Rudolf Ott.

Dass Einstein das Studium trotz mangelnder Begeisterung f¨¹r den Lehrplan mit 21 erfolgreich abschliesst, ist nicht zuletzt seinem Freund, dem Mathematikstudenten Marcel Grossmann, zu verdanken. Es sind vor allem Grossmanns akribisch ausgearbeiteten Vorlesungsnotizen, die dem oft schw?nzenden Einstein durchs Studium helfen. F¨¹r eine gute Abschlussnote reicht es trotzdem nicht. Mit einem Schnitt von 4,91 ist Einstein der Zweitschlechteste seiner Abschlussklasse und der Einzige, dem keine Anstellung als Forschungsassistent angeboten wird.

Das Wunderjahr in Bern

Nach seinem Abschluss an der ETH h?lt sich Einstein zun?chst mit verschiedenen Gelegenheitsjobs ¨¹ber Wasser, etwa als Nachhilfelehrer in Bern. Erst im Juni 1902 findet er auf Empfehlung des Vaters von Grossmann eine Stelle als technischer Experte im Patentamt in Bern. Dort, fernab des akademischen Establishments, ver?ffentlicht Einstein bis 1909 in seiner Freizeit nicht weniger als 33 Arbeiten. Darunter auch seine wichtigsten zur speziellen Relativit?tstheorie sowie zur Lichtquanten-Hypothese, f¨¹r die er sp?ter den Nobelpreis erh?lt.

Erst diese Publikationen, von denen mehrere das Weltbild der klassischen Physik auf den Kopf stellen, ?ffnen ihm nach zahlreichen Entt?uschungen und R¨¹ckschl?gen den Weg zu einer universit?ren Laufbahn: Nach zwei Jahren als Professor an der Universit?t Z¨¹rich und einem Jahr in Prag kehrt Einstein 1912 mit 33 Jahren als Professor f¨¹r theoretische Physik an seine Alma Mater, die ETH, zur¨¹ck. Seine Reaktion auf den langersehnten Ruf aus Z¨¹rich war bezeichnend: ?Halleluja!?, schrieb er seinem Freund, dem ETH-Geschichtsprofessor Alfred Stern aus Prag.

Z¨¹richs Beitrag zur Relativit?tstheorie

Einstein
Albert Einstein bei einem Segelausflug im Jahr 1934 (Illustration: Oculus Illustration / ETH-Bibliothek Z¨¹rich, Bildarchiv)

?Grossmann, du musst mir helfen, sonst werd ich verr¨¹ckt.? So soll Einstein seinen einstigen Rettungsanker aus Studienzeiten begr¨¹sst haben, als die beiden sich nach seiner Ankunft in Z¨¹rich das erste Mal sehen. Mit im Gep?ck aus Bern und Prag hat Einstein bereits die wichtigsten physikalischen Ideen seiner Allgemeinen Relativit?tstheorie. Was ihm noch fehlt, ist die passende mathematische Ausdrucksform. In diesem kritischen Augenblick wird Einstein sein mangelndes Interesse an h?herer Mathematik fast zum Verh?ngnis. Doch Grossmann, der mittlerweile Professor f¨¹r Mathematik an der ETH ist, greift dem verzweifelten Einstein erneut unter die Arme.

In neun Monaten h?chster Anspannung und Konzentration erarbeiten die beiden einen ersten Entwurf der Allgemeinen Relativit?tstheorie und Gravitation, der 1913 ver?ffentlicht wird und der endg¨¹ltigen Version bereits sehr nahekommt. Einstein notiert die beinahe richtigen Gleichungen in sein Z¨¹rcher Notizbuch, erkennt deren volle Bedeutung aber erst drei Jahre sp?ter, als er bereits Professor in Berlin ist. Die ETH verl?sst er schliesslich bereits nach eineinhalb Jahren. Zu attraktiv ist der Ruf an die hoch angesehene Preussische Akademie der Wissenschaften. Auch ein grossz¨¹giges Angebot f¨¹r eine Doppelprofessur an Universit?t und ETH Z¨¹rich kann ihn 1918 nicht mehr zur¨¹ck in die Schweiz locken.

GPS, Laser und Solarzellen

Albert Einstein stirbt im April 1955 im Alter von 76 Jahren in Princeton, wo er nach 1933 forschte. Seine revolution?ren Erkenntnisse leben aber sowohl in unserem Alltag als auch in der Forschung fort. So w?re zum Beispiel eine Welt ohne GPS heute kaum noch denkbar. Es war Einstein, der in seiner allgemeinen Relativit?tstheorie vorweggenommen hat, dass Uhren an Bord von Satelliten langsamer laufen als Uhren auf der Erde. W¨¹rde man diese Zeitunterschiede nicht ber¨¹cksichtigen, k?me es t?glich zu falschen Ortsangaben von mehreren Kilometern.

Und auch f¨¹r die heute omnipr?sente Lasertechnologie oder die Gewinnung von Strom durch Solarzellen lieferte Einstein mit seiner Lichtquanten-Hypothese und seiner Arbeit zur Planckschen Theorie der Strahlung wesentliche Grundlagen f¨¹r deren sp?tere Entwicklung.

Einsteins Forschung lebt weiter

?Ohne Einstein ist die heutige Physik undenkbar. Die Allgemeine Relativit?tstheorie ist sowohl f¨¹r unser Verst?ndnis der Welt als auch des Kosmos zentral?, erkl?rt Lavinia Heisenberg, Professorin am Institut f¨¹r Theoretische Physik der ETH. Gerade in den letzten Jahren wurde sie erneut mehrfach best?tigt: zum einen durch den Nachweis von Gravitationswellen, welche der Physik zus?tzliche Erkenntnism?glichkeiten ¨¹ber die Entstehung und die Ver?nderung des Universums er?ffnen. Zum anderen schaffte es ein internationales Forscherteam im vergangenen Jahr zum ersten Mal, ein schwarzes Loch sichtbar zu machen. Einstein hat diese Ph?nome zwar mathematisch vorhergesagt, selbst aber nicht an deren Existenz geglaubt.

Dar¨¹ber hinaus arbeiten sich Kosmologinnen wie Lavinia Heisenberg bis heute an Fragestellungen ab, die auf Einstein zur¨¹ckgehen: So ist etwa weiterhin nicht gekl?rt, ob die Relativit?tstheorie auch f¨¹r die sehr kleinen Einheiten der Quantenphysik gilt. Und auch bei der Erforschung des fr¨¹hen Universums und von schwarzen L?chern f¨¹hrt Einsteins Theorie zu Singularit?ten, die noch ungel?st sind. ?Diese Probleme werden uns noch viele Jahre besch?ftigen, und daher wird auch Einstein, ?hnlich wie Newton vor ihm, nicht von der Bildfl?che verschwinden?, betont Heisenberg. Es hat sich letzten Endes gelohnt, dass der mittelm?ssige Student es 1899 doch mit der Physik probiert hat. Nicht nur f¨¹r die ETH.

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert